Die Geographie

Das Land Ish

Ish ist das estlichste Land Hondanans. Die Nordgrenze bildet die Straße der Helden, die im Esten in den Endlosen Ozean übergeht. Dieser bildet die gesamte Est- und Mirgrenze des Landes. In den Endlosen Ozean mündet der Fluß Tar, der in der Nähe von Torndad entspringt. Im Westen erstreckt sich die wolsische Steppe, welche die Westgrenze des Landes bildet. Die Mirgrenze wird durch die E' liss Norn, die Winterberge gebildet, die nördlich und südlich in das Hochland von Taphan übergehen. Das Land ist zum Teil eben, manchmal auch gewellt. An einigen Stellen gibt es auch größere Hügel und kleinere Bergketten, die zumeist vom Taphanischen Gebirge auslaufen. Eine der höchsten dieser Berglandschaften sind die Mondberge im Norden.

Das Land besteht südlich der Mondberge fast ausschließlich aus tropischen Dschungel, in dem es jedoch zahlreiche Lichtungen jeder Größe gibt. Die gewaltigen Bäume bilden ein dichtes Blätterdach über dem Boden, das nur ein Dämmerlicht durchscheinen läßt. Über die höchsten Baumwipfel erheben sich nur die alten Pyramidenruinen, meist sechsseitige Monumente, erbaut aus gewaltigen Steinblöcken. Schon vor der Finsternis waren sie uralt. Die Pyramiden sind im Abstand von drei Tagereisen in ganz Ish verteilt. Von ihren Spitzen aus sind die nächsten im Umkreis erkennbar. Anhand der Pyramiden und der Sterne ist der Weg leicht bestimmbar.

Das Land wird durch eine aus Osten kommenden Regenstrom regelmäßig und äußerst reichlich mit Regen versorgt. Durch den Zusammenprall kalter und warmer Luft kommt es über Ish oft zu gewaltigen Gewittern und Stürmen. Der Regen fällt nie sanft, sondern prasselt immer als Wolkenbruch vom Himmel und verwandelt das südliche Land oft für Stunden in eine Seenplatte.

Der Dschungel

Der südliche Teil von Ish ist eine der wildesten Gegenden Hondanans. Dampfende Wälder, deren immergrüne Dächer kaum einen Lichtstrahl durchlassen. große sumpfige Gebiete, unzählige kleine Seen und Flüsse durchziehen das Land in einem dichten Netz. Gewaltige Baumriesen, dicht stehender Bambus, aber auch andere verwendbare Holzarten sind in diesem Land zu finden. Wilde, oft schreckliche Tierarten bevölkern dieses Land. Der Dschungel ist schwül und kochend und immer in ein Halbdunkel gehüllt, da die Baumkronen das Licht der Sonne abhalten. Die Dunkelheit der Nacht wird durch phosphoreszieren Baumschwämme unterbrochen. Der Boden des Dschungels wird zumeist durch ein dichtes Gestrüpp fleischiger Blattpflanzen und Farne bedeckt, die das Vorwärtskommen äußerst erschweren. Am schnellsten kann man sich bewegen, wenn man mit leichten Booten die Flüßchen und Bäche befährt, die zum Teil so nah nebeneinander vorbeifließen, daß man das Boot nur höchstens eine Stunde bis zum nächsten Wasser tragen muß. Die Vegetation im Dschungel ist schnellwachsend. Pfade und Straßen kann man nicht anlegen, da der Dschungel alles überwuchert. Alle Pflanzen im Dschungel sind auf große Mengen Wasser angewiesen. Pflanzen, wie sie in den trockenen Gebieten von Hondanan vorkommen, sind in Ish kaum zu finden. Hier herrscht ein regelrechtes Treibhausklima, es ist heiß und schwül. Unterschiede zwischen Sommer und Winter gibt es kaum.

Das zentrale Tiefland und die Lichtungen

Das Tiefland erstreckt sich in seiner größten Ausdehnung zweihundert Kilometer in Nor-Mir-Richtung. Im Nor begrenzt durch die Mondberge, sonst vom Dschungel umschlossen. Im unteren Teil des Tieflandes befindet sich die Stadt Torndad. Große Lichtungen sind eigentlich überall zu finden. Wegen des Fehlens eines geschlossenen Blätterdaches ist das Klima nicht so schwül und heiß.

Die nicht vom Dschungel überwucherten Landschaften sind flach, selten hügelig. Es gibt deutlich weniger Wasserläufe und Seen. Das Gras auf den Tiefländern ist fett, Weidewirtschaft ist aber auch hier selten. Die Länder sind relativ fruchtbar, doch durch die häufig niedergehenden Wolkenbrüche ist die Palette der zu säenden Pflanzen auf einige wenige beschränkt, z.B. Reis, Maniok.

Das nördliche Tiefland

Durch die Mondberge vom übrigen Ish getrennt, unterscheidet sich dieser Landstrich von den anderen Gebieten. Für das Klima ist mehr der Huanakastrom verantwortlich, dessen Ausläufer Ish durch die Straße der Helden erreicht. Aus diesem Grund fällt der Regen zwar noch reichlich, jedoch nicht in jenen übertriebenen Mengen wie im übrigen Ish.

Das Land ist zum größten Teil flach, nur im Zentrum erheben sich einige Hügel. Das Gebiet ist zum Teil bewaldet, doch treten die rein Ishitischen Baumarten in den Hindergrund. Der Einfluß des nahen Taphan ist sowohl in der Fauna wie auch in der Flora vorherrschend. Die Strände sind flach, sanft geschwungen und von Palmen bewachsen. Kleine Seen und Flüsse sind auch im Norden vorhanden. Vor allem die sanften Hügel des Zentrums bergen in den Senken und Tälern Teiche und etliche stille Seen, um die sich kleine Wälder gruppieren.

Die Gegend selbst ist sehr fruchtbar, vor allem an den Küsten kann sie sich mit den besten

Böden des Waranlandes messen. Die Hügel im Zentrum sind ebenfalls recht fruchtbar, und es gibt Weideplätzen für Schafe und Ziegen. Das Klima ist warm aber nicht übertrieben heiß, auch im Winter. Die Nächte sind lau und nur wenige Winternächte sind frisch.

Im Norden des Landes, am Fuße der Mondberge, steht wie eh und je die Stadt E'lil, eines der großen Handels- und Kulturzentren von Ish.

Das Gebirge von Taphan

Von diesem Landstrich gehören nur noch wenige Ausläufer zu Ish. Bedeutend für Ish sind die Mondberge. Dieser mächtige Ausläufer teilt das Land in zwei Klimazonen.

Mächtig reckt sich der Bergstock im Osten Taphans in den Himmel. Etliche Gipfel stürmen über viertausend Meter hoch. Im Herbst werden die Hochlagen und im Winter auch das übrige Gebirge von Schnee bedeckt. Die höchsten Berge verlieren ihre Schneealgen nie.

Die Fauna

In den Tümpeln, Sümpfen und Flüssen leben noch vereinzelt Echsen, die ihre Beute lebend reißen und sofort fressen. Außerdem gibt es noch verschiedene Raubkatzenarten, Bären Wölfe, sowie großes Hufwild, Schlangen, Wildschweine, Ziegen und zahlreiche Vogelarten.

Die Zentauren, auch während der Finsternis nicht ausgestorben, sind Wesen halb Pferd, halb Mensch. Der Oberkörper ist nur der Form nach menschlich. Er hat keine Haut, sondern ein Fell, wie auch der Rest des Körpers. Selbst das Gesicht ist verwachsen. Das Haar geht in eine schimmernde Mähne über, die den Oberkörper hinabläuft. Der Kopf hat eine flache Stirn und buschige Augenbrauen. Die wulstigen Lippen enthüllen ein kräftiges Gebiß mit spitzen Reißzähnen. Die Zentauren sind Fleischfresser und verzehren auch Menschenfleisch. Sie stoßen singsangähnliche Laute aus, besitzen aber keine uns bekannte Sprache. Ihre klauenartigen Hände vermögen Waffen zu führen. Sie zeigen Ansatzpunkte von Intelligenz im menschlichen Sinne. Wie sie Stammesfehden in Zweikämpfen austragen, so bevorzugen sie auch bei den Auseinandersetzungen mit Menschen den Zweikampf. Sie sind besonders bei den nomadisierenden Korossianern gefürchtet, denn sie überfallen auch größere Lager, verwüsten Hab und Gut und töten Kinder, wie sie auch in gegenseitigen Kriegen die Jungen der Besiegten töten. Raubkatzen nehmen es manchmal mit ihnen auf.

In der heutigen Zeit sind die Zentauren nur noch selten anzutreffen. Bevorzugt leben sie im undurchdringlichen Dschungel, den sie nur selten verlassen.

 

Der singende Tod

Gegen Mittag machte die kleine Gruppe Rast. Sie hatte bisher weder Spuren von Zentauren gefunden, noch sie selbst zu Gesicht bekommen. Einer der beiden jungen Jäger, er hieß Kauki Tschikula und war der Sohn eines der Brüder des Häuptlings, berichtete, daß seit dem langen Regen keine Zentauren mehr in der Nähe des Dorfes gesehen worden waren.

Das mochte bedeuten, daß sie während des Winters in andere Gegenden zogen. Der andere Junge, Matoska, war schweigsam, ein guter Beobachter und ein guter Führer.

Sie überquerten eine Reihe Lichtungen, auf denen sie rasch vorankamen. Aber es war nicht ungefährlich. Nicht nur Herden von Wild, auch die Räuber kamen hier an die Wasserstellen. Hier konnten sie ihren Fleischvorrat auffüllen und die beiden jungen Korossianer erwiesen sich als gute Jäger. In der Ferne sahen sie eine gewaltige gestreifte Katze, welche die Korossianer Arrish nennen, der gefürchtetste Räuber von allen.

Bei Einbruch der Dämmerung fanden sie einen geeigneten Lagerplatz, wo sie auch die Pferde mit Wasser und Futter versorgen konnten. Tamahe hatte längst erkannt, daß sie zu Fuß und ohne Pferde rascher vorangekommen wären, aber es hatte ihm widerstrebt, sie einfach zurückzulassen.

Es wurde rasch finster, da die gewaltigen Bäume und das Dickicht nicht viel vom Himmel sehen ließ.

Tamahe hatte Matoska für die erste Wache eingeteilt. Das Feuer war noch nicht niedergebrannt und Tamahe war selbst noch wach, als der Junge mit einem warnenden Ruf auf sie zukam. Er deutete aufgeregt zwischen die Stämme.

Etwas bewegte sich dort.

Tamahe erkannte nicht gleich, was es war. Es war zu dunkel dazu. Aber er hatte die Klinge bereit und sah, daß auch die übrigen wach waren.

Ein Brechen von dürren Ästen und Rascheln im Laub erklang nun von allen Seiten.

Im nächsten Augenblick fiel der spärliche Feuerschein auf einen für alle vertrauten Anblick. Ein Wesen, halb Mensch, halb Pferd, kam zwischen den Bäumen hervor und beobachtete die Menschen wachsam. Es winkte, und gleich darauf war der Lagerplatz umstellt von wenigstens dreißig Zentauren. Singsangartige Laute kamen aus ihren Mündern, wobei ihre wulstigen Lippen spitze Raubtierzähne entblößten. Ihr menschlich anmutender Oberkörper war nicht wirklich menschlich. Er hatte nur die Form - als hätten die Götter mit ihrer Schöpfung gespielt - Arme, Beine, der Kopf mit der flachen Stirn und den buschigen Augenbrauen, die Augen, die dem Menschen am ähnlichsten waren und in denen ein wacher Funke glomm. Der Oberkörper war nicht haarlose Haut, sondern mit dem gleichen Fell bedeckt wie der übrige Leib und selbst das Gesicht. Das Haar ging über in eine schimmernde Mähne, die den Oberkörper hinablief. Ihre Hände waren klauenartig, und manche hielten schwere Keulen. Wenn man die Kraft in Betracht zog, die in diesen Körpern schlummerte, mußte ein Hieb mit solch einer Keule einen Mann zerschmettern.

Der Vorderste, vermutlich der Anführer, kam auf die Menschen zu. Er musterte die beiden jungen Jäger mit dem Blick eines hungrigen Raubtiers, und Tamahe erinnerte sich, was er schon seit frühester Jugend über die Zentauren erfahren hatte, daß sie Kinder töteten, daß sie Menschenfleisch aßen und daß sie mächtige Kämpfer waren und sich zu jeder Gelegenheit im Zweikampf maßen, auch mit ihren Gefangenen.

Hier mochte vielleicht ihre Chance liegen. Doch er wußte auch, daß nur weinige einen Zentauren im Zweikampf zu besiegen vermochten. Machpia To war solch einer. Aber Machpia To war der Tapferste aus der Sippe der Jäger.

Auch Tamahe war einer, der den Kampf liebte.

Der Blick des Anführers blieb an Tatokala haften, und Tamahe vermeinte Verwunderung in den Augen des Zentauren zu sehen, denn Tatokala war ein Griot, ein Sänger.

Er streckte die behaarte Klauenhand aus, und zögernd gab ihm Tatokala die Syrinx.

Der Anführer entblößte grinsend sein Gebiß, dann nahm er das Instrument und blies eine Folge schriller Töne, die durch Mark und Bein gingen. Nun wandte der Zentaur sich den Pferden zu, die ihn offenbar sehr interessierten. Er wollte nach ihnen greifen, doch sie wichen wiehernd zurück.

In diesem Augenblick bewegte sich eine Gestalt geduckt auf einen der erstarrt dastehenden Jungen zu, stieß ihn zur Seite und erreichte den Anführer, bevor sie jemand aufhalten konnte. Ein schriller Schrei folgte und hallte wider im nächtlichen Wald. Der Zentaur bäumte sich auf und schüttelte die Gestalt ab wie ein lästiges Insekt. Ein Dolch ragte aus seiner Brust. Seine Klauen nahmen den Griff und rissen das Messer heraus. Ein Strahl von Blut folgte.

Alle standen einen Moment erstarrt, nur Wapascha, der den Dolch geführt hatte, rollte sich aus der Reichweite der gefährlichen Hufe.

"Worauf wartet ihr noch? Kämpft!" kreischte er. "Sie sind hilflos ohne Führer!"

Tamahe riß sich los und schwang die Klinge. Er versuchte, in die Nähe des verwundeten Anführers zu kommen. Er vernahm das Schreien der Jungen, aber er war zu sehr beschäftigt, als daß er sich um sie kümmern konnte. Seine mächtige Machete biß tief in einen der Zentaurenleiber. Kreischen und Schreien machten ihn fast taub. Eine Klauenhand faßte nach seiner Machete und wollte sie ihm entreißen. Arme umklammerten ihn, und der beißende Geruch von Tierkörpern stieg ihm in die Nase. Er vermochte freizukommen und sich erneut Raum zu verschaffen für seine Klinge. Dann traf ihn ein Keulenschlag am Kopf, der ihn halb betäubt zu Boden schickte. Sofort wurde er hochgehoben. Blut rann in seine Augen. Undeutlich sah er, daß zwei Pferdekreaturen Wapascha vor den sterbenden Anführer geschleppt hatten. Er wehrte sich verzweifelt. Der Anführer nahm die Keule von einem Gefährten und führte einen wuchtigen Hieb auf dessen Schädel. Der blutüberströmte Kopf schrie. Die Keule kam erneut herab und zerschmetterte ihm die Brust. Noch immer schrie Wapascha. Sein grünes Gewand wurde rot. Ein dritter Hieb brach ihm den Nacken und beendete das Schreien abrupt. Die Zentauren ließen den Toten los. Der Anführer brach in die Knie. Undeutlich sah Tamahe Matoska neben sich, dann verließen ihn seine Sinne.

Als er zu sich kam, war es noch immer Nacht Er lag auf dem Boden und entdeckte, daß er sich frei bewegen konnte. Seine Machete und sein Dolch waren verschwunden. Der Himmel über ihm war frei und voller Sterne. Er mußte auf einer Lichtung liegen. Aus einiger Entfernung kamen Geräusche, aus denen Tamahe jedoch nur das Scharren von Hufen erkennen konnte.

Er drehte sich herum, richtete sich auf und entdeckte Kauki Tschikula, nicht weit von ihm entfernt. Er schob sich vorsichtig näher.

"Kauki Tschikula?" flüsterte er.

"Ich dachte schon, du würdest niemals aufwachen", erwiderte Kauki Tschikula.

Tamahe ließ sich erleichtert zurücksinken. Er fühlte sich immer noch schwindlig. Sein Kopf schmerzte. Er rieb sich das getrocknete Blut aus den Augen.

"Was ist geschehen?"

"Wir sind gut zwei Stunden durch den Wald gerieten"

"Geritten?"

"Geritten worden, wenn du so willst."

"Liegen wir schon lange hier?"

"Ja, Es ist schon fast Morgen, wenn ich mein Zeitgefühl nicht verloren habe. Sie feiern ihren Fang und Schlemmen..."

"Schlemmen?" fragte Tamahe beunruhige.

"Ja, sie verzehren Wapascha. Und vor einer Weile haben sie einen anderen

erschlagen, um ihre Mahlzeit aufzubessern..."

"Bei allen Göttern, sie werden...!"

Er brach ab. "Und Matoskae? Wo ist Matoskae?"

"Er liegt halbtot in der Mitte; wenn er Glück hat, sind sie satt, bevor die Reihe an ihm ist, und sparen ihn für die nächste Mahlzeit auf."

"Wo ist Tatokala?"

"Auch bei ihnen."

"Still!" zischte Tamahe.

Mehrere der Zentauren kamen auf sie zu. Sie hielten vor den beiden reglosen Gestalten an. Einer hatte etwas in der Hand, daß wie eine Keule aussah. Erst als er es an die Lippen führte und seine Zähne hineinsenkte, erkannte Tamahe, was es war - der bleiche Arm eines Toten. Der Anblick war mehr als Tamahe ertragen konnte. Er sprang auf und wollte auf den Zentauren losstürzen. Bevor er ihn erreichte, packten ihn die Anderen und schoben ihn vorwärts zu der Stelle, wo die übrigen Zentauren versammelt waren.

Sie genossen sichtlich ihren Beutezug. Einige der Weibchen machten sich an Tamahes Hengst zu schaffen, was das Tier in aufgeregtes Wiehern versetzte. Die Artverwandtheit brachte wohl manche Reize mit sich, dachte Tamahe grimmig. Vier oder fünf Junge liefen aufgeregt zwischen ihnen herum.

Tamahe wurde unter die Versammelten gestoßen. Er stolperte über den Boden und sah mit einem Würgen in der Kehle, daß es sich um die Überreste von Wapasche handelte.

Dann stand er vor einem, dessen Gebiß grinsend entblößt war. Er schien der neue Anführer zu sein. Purer Grimm ließ Tamahe handeln, ohne zu überlegen. Er trat einen überraschenden Schritt vor und rammte der Kreatur die Faust unter das Kinn, daß die Kiefer hörbar klickten und der Kopf nach hinten kippte. Der Zentaur schwankte und drohte in die Knie zu gehen. Tamahe holte zu einem zweiten Hieb aus, aber kräftige Arme rissen ihn zurück.

Der Geschlagene fing sich und schüttelte benommen den Kopf, dann stierte er Tamahe mit blutunterlaufenen Augen an und gab seinen Gefährten, die Tamahe hielten, einen Wink. Sie ließen ihn los. Einer tänzelte aus dem Kreis und kam einen Moment später mit

Tamahes Klinge zurück. Er rammte sie vor ihm in den Boden.

Tamahe nahm sie und riß sie heraus. Er sah, wie der Anführer eine Keule aufhob.

"Ihr Bestien", knurrte er.

"Einige von euch wird die Mahlzeit im Halse stecken bleiben."

Er wog seine Klinge bedächtig, dann bahnte er sich einen Weg zu den Pferden, stieß die Weibchen zur Seite und nahm seinen Hengst an die Zügel. Das Tier war aufgeregt und tänzelte, als Tamahe aufstieg. Er beruhigte sich nur mühsam.

"Verdammte Weiber!" brummte Tamahe.

"Sie halten dich nur zum Narren, mein Bester", flüsterte er dem Pferd zu.

"Du bist nicht einer von ihnen, und sie werden dich schlachten."

Das Pferd verstand zwar seine Worte nicht, aber es beruhigte sich unter der vertrauten Stimme.

Die Zentauren musterten Tamahe mit aufgeregtem Singsang. Jäger zu Pferd kamen nicht oft in dieses Gebiet. Einen wie Tamahe hatten die meisten dieses Stammes wohl noch nie gesehen.

Der neue Anführer bedachte Tamahe mit einem wütenden Fletschen der Zähne, dann wichen die anderen zurück und gaben den Kampfplatz frei.

Die Sterne hatten zu verblassen begonnen. Das Grau der Morgendämmerung kam über die jenseitigen Wipfel.

Viel zu erkennen war nicht. Tamahe hoffte, daß sein Hengst genug sah, um sich nicht die Beine zu brechen.

Der Anführer griff mit einem wilden Schrei an.

Er schwang die mächtige Keule ohne besondere Mühe. Tamahe wußte, daß ein voller Treffer fatal war. Er besaß einen anderen Vorteil. Der Biß seiner Klinge würde schmerzhaft oder tödlich sein.

Er versuchte nicht zu parieren. Nichts hätte diese Keule aufzuhalten vermocht außer einem kräftigen Schild, doch den hatte er nicht. Es war nicht leicht, den Gegner in der Dunkelheit zu erkennen. Tamahe wich dem ersten Hieb aus. Noch im Schwung wirbelte der Zentaur herum. Tamahes Klinge verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Ein erneuter Keulenhieb traf Tamahe an der linken Schulter und erfüllte ihn mit lähmenden Schmerz, daß er fast vom Pferd gestürzte. Der Gegner schrie triumphierend auf und drang erneut auf ihn ein, um diesen Augenblick der Schwäche zu nützen.

Tamahe lehnte sich ihm weit entgegen und duckte sich tief. Während die Keule über ihn hinwegzischte, bohrte sich die Spitze seines Schwertes in jenen Teil des Pferdeleibes, aus dem der menschliche Oberkörper wuchs. Die Kreatur heulte auf und schwang die Keule erneut, aber der Korossianer hatte seinen Hengst zurückgerissen, um außer Reichweite zu kommen. Er wollte der Wunde Zeit geben, zu wirken. Sie war nicht schwer genug, um den Gegner zu schwächen, der Schmerz schien ihn aber gewaltig zu reizen.

Während er auf den neuen Angriff wartete, bewegte es seine Schulter. Sie schmerzte stark.

Der Angreifer kam heran wie ein Dämon. Seine Hufe stampften über den Boden. Tamahe ließ ihn herankommen, aber er erkannte zu spät, daß der Keulenhieb diesmal nicht ihm galt, sondern seiner Klinge. Er duckte sich überflüssigerweise und stieß seine Machete gegen die Brust des Gegners, aber bevor sie ihr Ziel erreichte, wurde sie aus seiner Hand gewirbelt und flog in die Dunkelheit. Gleichzeitig rammte ihn der Zentaur in vollem Lauf. Während sein Pferd wiehernd hochstieg, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, packten ihn kräftige Fäuste und zerrten ihn vom Rücken seines Tieres.

Tamahe stieß seine Fäuste nach oben, traf den Schädel seines Gegners und entglitt dessen Griff.

Er stürzte zu Boden, und die Hufe stampften über ihm. Er bäumte sich auf und hieb gegen die muskulösen Vorderbeine, die einknickten. Während der Zentaur fiel, rollte er aus dem Bereich der Hufe. Der Vater des Regenbogens mußte mit ihm gewesen sein, denn mitten in der Bewegung bekam er Eisen zu fassen, seine Klinge!

Noch im Rollen bekam er es am Griff zu fassen und war auf den Beinen, bevor es der Zentaur schafte. Tamahe wartete nicht. Er stolperte zu ihm und stieß ihm die Klinge wieder und wieder in den Leib, bis der Koloß zu seinen Füßen sich nicht mehr regte.

Ein Seufzen ging durch die Versammelten, als die Spannung von ihnen wich.

 

Er sah sich wachsam um, langsam ging er zu seinem Pferd zurück, aber niemand stellte sich ihm in den Weg. Sie beobachteten ihn nur stumm.

"Du hast gesiegt, du magst gehen", sprach einer.

Der Stamm gehorchte ihm, als wäre er ihr neuer Anführer, aber über einfache Befehle und Anordnungen hinaus gab es keine Verständigungsmöglichkeiten. Langsam erholte sich auch der junge Matoska von dem Grauen, das ihn lähmte, seit er zugesehen hatte, wie sein Stammesbruder getötet und gegessen wurde. Sie hatten nicht vor, in dieser götterverlassenen Gegend auch nur eine Stunde länger zu bleiben, als unbedingt nötig war.

(danke Hubert)
 
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